Fortgeschrittener Morbus Parkinson

Fortgeschrittener Morbus Parkinson

Prim. Dr. Hermann Moser, MSc, Ärztlicher Leiter Neurologisches Therapiezentrum Gmundnerberg informiert über „Rehabilitation für Parkinson-Patienten“.

Interview Dr. Moser, Gmundnerberg

 

Intro mit Soundlogo: Das AbbVie Audio-Update. Ein medizinischer Kurzbeitrag, aktuell für Sie bearbeitet und aufgenommen von AbbVie Österreich.

 

Sprecher: Willkommen zu einem Beitrag aus der AbbVie Podcast-Reihe, mit dem wir uns insbesondere an Parkinson-Patientinnenen und Patienten und deren Angehörige wenden.

Morbus Parkinson zählt zu den häufigsten Erkrankungen des Nervensystems im höheren Lebensalter. In Österreich sind davon ca. 20.000 Menschen betroffen.

Nach derzeitigem Forschungsstand ist „Parkinson“ noch nicht heilbar. Es gelingt aber in sehr vielen Fällen, mit Hilfe einer individuell abgestimmten Kombination aus medikamentösen und nicht medikamentösen Therapien, Beschwerden zu lindern. Betroffene können somit durchaus über lange Zeit ein hohes Maß an Lebensqualität erhalten und ein weitgehend selbstbestimmtes Familien-, Berufs- und Gesellschaftsleben führen.

Wir widmen uns in der nächsten halben Stunde in erster Linie den nicht-medikamentösen Möglichkeiten aus dem Behandlungsspektrum. Dazu sind wir zu Gast beim Leiter eines spezialisierten Rehabilitationszentrums für Neurologie. Aber ich darf Sie bitten, dass Sie vielleicht sich selbst und Ihr Haus kurz vorstellen.

 

Dr. Moser: Mein Name ist Dr. Hermann Moser, ich bin ärztlicher Leiter der Rehabilitationsklinik Gmundnerberg in Oberösterreich. Das neurologische Therapiezentrum Gmundnerberg ist eine Rehabilitationsklinik für Neurologie und ist seit 2010 in Betrieb, ist eine Neugründung gewesen und ich habe hier sozusagen begonnen im Jahr 2010. Ich bin vom Grundberuf her Facharzt für Neurologie, Additivfach Geriatrie und mich hat‘s schon immer in die Rehabilitation gezogen.

Der Grund ist deshalb, weil die neurologische Rehabilitation eigentlich immer dazu gehört hat zum Fach Neurologie und es natürli­­ch nicht für alle neurologischen Erkrankungen perfekte Therapien gibt – Akuttherapien ­– und bei vielen Erkrankungen ein neurologisches Defizit zurückbleibt und da ist es mir ein besonderes Anliegen, nachdem dieser akute Teil vorüber ist, sozusagen dann im Nachgang Patienten zu helfen.

 

Sprecher: Warum ist gerade für Parkinson-Patientinnen und Patienten die Rehabilitation so wichtig? Einer Parkinson-Erkrankung geht ja eigentlich kein Akut-Ereignis voran.

 

Dr. Moser: Da haben Sie Recht. Die Rehabilitation für Parkinson und Parkinson-ähnliche Erkrankungen ist sozusagen ein absolutes Lieblingsthema von mir, und das liegt daran, dass wir sehr früh damit begonnen haben, uns für diese Patientengruppe zu interessieren. Es gab nämlich für Parkinson-Erkrankte eigentlich außer einer normalen Krankengymnastik keine guten Anlaufstellen in Österreich. Und wir haben begonnen, schon vor vielen Jahren, mit speziellen Therapie-Programmen für Parkinson-Patienten und man muss sagen, dass in den letzten Jahren auch die wissenschaftliche Evidenz, was sogenannte nicht-medikamentöse Therapieverfahren betrifft, auch deutlich zugenommen hat.

 

Sprecher: Und wie viele Parkinson-Patientinnen und -Patienten begleiten Sie hier, am Gmundnerberg?

 

Dr. Moser: Ja, bei uns ist so, dass also wirklich die Parkinson-Erkrankung die zweithäufigste Diagnose nach dem Schlaganfall in unserem Haus ist. Also ca. 20% unserer Patienten sind Parkinson-Patienten. D. h., dass wir im Jahr ca. zwischen ja 250 Parkinson-Patienten – ungefähr – begrüßen können bei uns.

 

Sprecher: Patienten, sind ja bereits auch in medikamentöser Behandlung. Überprüfen Sie eigentlich den Standard der Therapie, ob der ausreichend ist?

 

Dr. Moser: Die Patienten kommen im Wesentlichen ja medikamentös eingestellt zu uns und die Überprüfung dieser laufenden Medikation, ob sie auch passt, ob sie ausreichend ist, ob Nebenwirkungen da sind, das ist ein ganz wesentlicher Teil der ärztlichen Aufnahme und des ärztlichen Betreuungsprozesses. Wenn wir sehen, dass Patienten eine Medikamentenmodifikation benötigen, dann würden wir das auch hier durchführen, aber wir machen nicht bei jedem Patienten eine Medikamentenumstellung, weil viele sind ja perfekt eingestellt und dann ist es auch nicht notwendig.

 

Sprecher: Wir sprechen von einer fortschreitenden Erkrankung, für die es bis heute noch keine Heilmöglichkeit gibt, aber immerhin gute Behandlungsmöglichkeiten. Welche speziellen Bedürfnisse haben Parkinson-Patientinnen und -Patienten in der Reha?

 

Dr. Moser: Also so ganz typische Rehabilitationsziele, so wie‘s wir bezeichnen in der Rehabilitation, sind zum Beispiel: das Gehen verbessern – also das Thema Mobilität, Gehen, sicherer Gehen und Gleichgewicht ist einmal ein ganz wesentlicher Punkt. Dann gibt es das Thema „Feinmotorik“ – alles, was mit den Händen zu tun hat, alles was mit den so genannten ADLs zu tun hat, also mit den Aktivitäten des täglichen Lebens, das ist ein wesentlicher Punkt. Dann gibt es einen so genannten neuropsychologischen Schwerpunkt, wo’s darum geht, einerseits die Krank-heitsbewältigung mit entlastenden Gesprächen mit unseren Psychologen zu behandeln, und andererseits aber auch kognitive Funktionen zu trainieren.

 

Sprecher: Wie kann man sich das jetzt konkret vorstellen? Beginnen wir mit den kognitiven Defiziten: Was bietet das Trainingsprogramm in ihrem Haus hierfür an?

 

Dr. Moser: Also im neuropsychologischen Training geht´s einmal grundsätzlich… startet das mit einer neuropsychologischen Testung, wo der Patient sozusagen verschiedene Domänen getestet bekommt, also das kann sein jetzt Aufmerksamkeit, Konzentration, Kognition, vor allem Handlungsplanung ist ein wesentliches Thema, so zu sagen, bei den Parkinson-Patienten und je nach diesen Testergebnissen wird dann ein maßgeschneidertes Therapieprogramm für den Patienten entwickelt. Das können einerseits Zettel-Bleistift-Trainingsprogramme sein, das können aber auch computergestützte Programme sein, wo der Patient am Bildschirm trainiert.

 

Sprecher: So, wie sie eingangs beschrieben haben, setzt die Therapie aber auch bei grundlegenden körperlichen Funktionen und Fähigkeiten an. Welche Themen stehen hier besonders im Fokus?

 

Dr. Moser: Das Bewegungsthema. Thema Gehen, bzw. Mobilität das ist ein ganz ein großes und wichtiges Thema, so zu sagen für die Parkinson-Patienten, wahrscheinlich sogar das wichtigste oder das Hauptthema in der Rehabilitation – alles wollen sozusagen schneller gehen, besser gehen und möglichst sturzfrei gehen – und das ist natürlich eine absolute Domäne in der Physiotherapie, also Gang-Training, Laufband-Training, Nordic Walking, Gehen auch im unebenen Gelände – all diese Dinge werden sozusagen je nach Schwerpunkt bei uns trainiert.

Dann haben wir natürlich auch das Thema Sprache, also Parkinon-Patienten zeichnen sich ja auch dadurch aus, dass die Sprache eher leiser wird im Verlauf, oder initial schon sehr leise sein kann und dieses Thema ist sozusagen die Domäne der Logopädie, wo wir mit speziellen Verfahren, zum Beispiel mit „LSVT Loud“ diese Themen in Angriff nehmen.

 

Sprecher: Auf diese Verfahren kommen wir später noch einmal zurück. Zunächst würde ich aber gerne über den Zugang der Patientengruppe zur Therapie sprechen. Ab wann ist es für einen Parkinson-Patienten interessant, sich um das Thema Reha zu kümmern?

 

Dr. Moser: Also ich denke, interessant ist es für den Patienten, sobald die so genannte Honeymoon-phase vorüber ist, also da heißt so im mittleren Erkrankungsstadium … im Jahr 2 bis 3 macht es Sinn, über Rehabilitationsmaßnahmen nachzudenken. Wobei es jetzt von der Schwere der Erkrankung … das nicht im Vordergrund steht, sondern es geht jetzt auch darum, Patienten aus diesem Teufelskreis körperlicher Inaktivität herauszuholen. Viele Parkinson-Patienten trauen sich viel Dinge nicht mehr zu, vernachlässigen Sozialkontakte, gehen wenig raus, machen wenig Bewegung, weil’s Ihnen einfach mühsam ist und ich denke, sobald sich abzeichnet, dass ich hier körperliche Inaktivität in einem größeren Ausmaß Thema ist, sollte man an Reha-Maßnahmen denken.

 

Sprecher: Wenn dann das Thema Reha aktuell wird – definieren Sie dann die Ziele gemeinsam mit den Patienten?

 

Dr. Moser: Genau. Also wie gesagt, bei der Aufnahme erfolgt einmal eine genaue Sichtung aller vorliegenden Befunde, als auch eine genaue körperliche Aufnahmeuntersuchung und je nachdem, wie auch die Reha-Ziele liegen oder die Reha-Anforderungen liegen, wird mit dem Patienten ein individuelles Therapiekonzept erstellt. Wobei natürlich es unterschiedliche Schwerpunkte geben kann, aber ich denke, eines ist wichtig: die Zielsetzung kann nur mit dem Patienten erfolgen und nicht sozusagen, dass der Arzt das einfach festlegt, sondern ich denke, der Patient muss hier auch seine Wünsche einfließen lassen können.

 

Sprecher: Und inwieweit könne auch Patientenangehörige direkt in die Therapie oder zumindest in den Therapie-Plan eingebunden werden?

 

Dr. Moser: Angehörige können auch bei uns zum Teil in der Therapie dabei sein, bzw. wenn es um wichtige Informationen geht, z. B., wenn bei fortgeschrittenem Parkinson, bei fortgeschrittener Parkinson-Erkrankung es zu Schluckstörungen kommt, dann macht es Sinn, sozusagen, Angehörige diesbezüglich zu sensibilisieren, dass gewisse Kostformen zu Hause auch umgesetzt werden. Das wäre so ein ganz ein klassisches Thema sozusagen für die Einbindung Angehöriger, aber auch, wenn es sozusagen zu Problemen im ADL-Bereich kommt, wenn Hilfsmittel verordnet werden, und die Einschulung auf diese Hilfsmittel – das kann ein Badewannen-Rutschbrett sein, dass kann ein Rollator sein – dass es Sinn macht, auch die Angehörigen mit ins Boot zu nehmen.

 

Sprecher: Können Sie den Begriff, oder die Abkürzung „ADL“ vielleicht kurz erklären?

 

Dr. Moser: Also ADL ist die Abkürzung für „Aktivitäten des täglichen Lebens“, und damit meint man eigentlich alles was im Alltag passiert, ohne dass wir jetzt groß darüber nachdenken. Das beginnt in der Früh mit der Körperpflege, mit dem Zähneputzen, mit dem Rasieren, mit dem Frisieren, mit dem Waschen, mit dem Anziehen, mit dem Brot schneiden, mit dem Kaffee machen, also allem, was sozusagen an Aktivitäten des Alltags sozusagen jetzt außerhalb der beruflichen Tätigkeit anfällt, bezeichnen wir als Aktivitäten des täglichen Lebens.

 

Sprecher: Und steht die Förderung der Selbstständigkeit genau in diesem Bereich besonders im Mittelpunkt der Reha?

 

Dr. Moser: Absolut, weil eines der wesentlichen allgemein formulierten Reha-Ziele ist es ja, die Patienten so selbstständig, wie möglich wieder zu machen. Das ist ja unabhängig auch von der Parkinson-Diagnose, sondern das gilt natürlich auch für alle anderen Diagnosen.

 

Sprecher: Für Zuhörer jetzt interessant ist der zeitliche Ablauf der Therapie. Wie sieht dieser insgesamt, aber auch, was den Tagesplan angeht, aus?

 

Dr. Moser: Also im Prinzip ist es so, dass am Tag 1 die ärztliche und pflegerische Aufnahme stattfindet und am Tag 2 kommt der Patient zu den therapeutischen Disziplinen, die am Vortag besprochen wurden und es erfolgt dort auch eine Befundung. Und diese Befundung ist auch ganz wesentlich dann in Bezug auf die Therapieplanung in den nächsten Wochen.

Es ist dann so, dass, nachdem der Patient also ärztlich gesehen wurde, pflegerisch gesehen wurde, und auch therapeutisch gesehen wurde, und auch das Reha-Ziel in den verschiedenen therapeutischen Disziplinen noch einmal definiert wurde, ein Therapie-Plan entsteht, und dieser wird im Wesentlichen bis zum Schluss beibehalten – außer es gibt irgendwelche Zwischenfälle in dem Sinn, dass der Patient vielleicht einmal kurzfristig nicht so belastbar ist oder, dass es ihm nicht so gut geht. Dann muss man’s natürlich adaptieren. Oder der Patient sich auch im Lauf der Reha verbessert, dann muss man’s auch ein bisschen adaptieren.

 

Sprecher: Jetzt könnten Patienten unter Umständen auch Angst haben, dass die Reha zu anstrengend sein oder sie überfordern könnte. Gibt’s da ein Mindestmaß, das man den Patienten zumuten kann, bzw. wo liegen die Grenzen?

 

Dr. Moser: Also die Patienten sollten 2 – 3 Stunden Therapien pro Tag aushalten. Das ist auch die Therapiezeit, die wir im Haus anbieten. Wenn es kurzfristig auf Grund vom Allgemeinzustand zu Schwankungen kommen sollte und weniger Therapie ausgehalten wird – unter Anführungszeichen – dann ist es auch kein Problem, aber wie gesagt – im Prinzip sollte der Patient diese 2-3 Stunden Therapien am Tag aktiv mitmachen können. Und das ist auch ein wesentlicher Punkt für die Indikation für die Aufnahme bei uns in der Rehabilitation.

 

Sprecher: Und wie schaut ein typische Tagesplan eines Reha-Patienten aus?

 

Dr. Moser: Ein typischer Tagesplan eines Reha-Patienten ist im Prinzip so, dass der natürlich mit dem Frühstück startet, dann wird es am Vormittag – gibt’s entweder Einzel- oder Gruppentherapien, je nachdem, wie der Therapieplan festgelegt wird – und die Therapien dauern normalerweise 30 Minuten und der Patient kann damit rechnen, dass so ungefähr 5 Therapieeinheiten pro Tag stattfinden. Und wie gesagt, die Therapie endet so um 16 Uhr – das ist auch das Ende unserer Kernarbeitszeit – und in diesem Zeitraum zwischen 8 und 16 Uhr finden auch Therapien im Haus statt.

 

Sprecher: Eine Reha soll ja auch Freude machen. Gibt’s auch ein Rahmenprogramm, das Sie hier im Haus anbieten?

 

Dr. Moser: Im Normallfall ja. Also das Rahmenprogramm leidet in den letzten zwei Jahren natürlich unter den Corona-Maßnahmen. Wir haben montan kein Rahmenprogramm, aber ansonsten haben wir Abende mit Musik, Vorträge, Ausstellungen und verschiedene kleinere, sozusagen Events, die wir so übers Monat anbieten. Momentan ist auf Grund der strengen Covid-Maßnahmen leider nichts möglich.

 

Sprecher: Jetzt würde ich noch gerne ein bisschen auf die einzelnen Therapien eingehen. Sie haben das schon das LSVT-Loud erwähnt: Können Sie uns das ein bisschen näher beschreiben?

 

Dr. Moser: Also dieses „Lee Silverman Voice Treatment“ ist ein logopädisches Programm, das schon seit vielen Jahren in Verwendung ist. Dieses Programm stammt aus Amerika. Ist sehr gut untersucht bei Parkinson-Patienten. Und es geht im Wesentlichen um Re-Kalibrierung der Stimme. Die Parkinson-Patienten haben eine Wahrnehmungsstörung: die eigene Stimme wird als normal laut wahrgenommen, obwohl es für die Umgebung sehr leise oder zum Teil auch unverständlich klingt. Der Patient nimmt das eigentlich als normal wahr. Und dieses Wiederheranführen der eigenen Wahrnehmung – wie laut muss meine Stimme sein, damit mein Alltag auch gut funktioniert ist ein ganz wesentlicher Teil dieser LSVT-Loud, dieses LSVT-Loud Trainings.

 

Sprecher: Wie wird hier konkret geübt?

 

Dr. Moser: Konkret geübt wird einerseits Intonation, Artikulation aber besonders die Sprechlautstärke. Und das wird geübt mit zum Teil langanhaltenden, lauten Tönen, die der Patient möglichst lang und möglichst laut halten muss, um sozusagen auch wieder ein Training für den gesamten Stimmapparat zu bekommen. Das Ziel sozusagen ist einerseits wieder zu einer lauteren Stimme zu kommen, aber auch mit diesem lauteren intensiveren Sprechen auch neuroplastische Prozesse sozusagen anzustoßen.

 

Sprecher: Das erfolgt einzeln oder in der Gruppe?

 

Dr. Moser: Das LSVT-Loud Programm ist ein Einzeltherapieprogramm, das genau und streng nach dem LSVT-Loud-Protokoll erfolgt. D. h., das findet 4 x die Woche eine Stunde lang statt und ist auch verbunden mit einen Selbsttraining der Patienten, das sie auch dazwischen durchführen.

 

Sprecher: Gibt es auch ein Trainingsprogramm, das die Patienten mitbekommen, wenn sie hier die Reha abschließen, das sie zu Hause weiterführen können?

 

Dr. Moser: Ziel der Rehabilitation ist es auch, mit dem Patienten ein so genanntes Heim-Übungsprogramm zu erarbeiten, damit der Patient, wenn er nach Hause kommt, ein Programm vorfindet, mit dem er auch sinnvoll zu Hause weiter üben und trainieren kann.

 

Sprecher: Es gibt jetzt auch ein ähnliches Programm für die körperliche Aktivierung. Können Sie uns das bitte auch vorstellen?

 

Dr. Moser: Das LSVT-Big-Programm hat sich aus dem LSVT-Loud-Programm heraus entwickelt und ist sozusagen das physiotherapeutische bzw. ergotherapeutische Programm betreffend Bewegungen für Parkinson-Patienten. Parkinson-Patienten haben auch hier eine Wahrnehmungsstörung.
Sie nehmen die Bewegungen, die zu kleinen Bewegungen als relativ normal wahr und die übergroßen Bewegungen, die durchgeführt werden im LSVT-Big Programm sollen zu einer Re-Kalibrierung der Motorik und des Bewegungsausmaßes führen und auch hier sollen neuroplastische Prozesse angestoßen werden.

 

Sprecher: Das heißt., die Patienten werden dazu motiviert, sich wieder mehr Raum in der Bewegung zu nehmen. Wie erfolgt das?

 

Dr. Moser: Das LSVT-Big Programm ist ein Programm, das relativ anstrengend ist. Es dauert nämlich auch 4mal die Woche 1 Stunde und hier geht es darum, dass nach einem gewissen Muster für obere Extremitäten, für Rumpf, für untere Extremitäten große Bewegungen durchgeführt werden, mit vielen Wiederholungen und das ist zum Teil durchaus anstrengend für die Patienten, aber nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Therapeuten.

 

Sprecher: Sie haben auch erwähnt, dass oft auch der Gleichgewichtssinn beeinträchtigt ist. Wie kann man die Patienten auf diesem Gebiet fördern?

 

Dr. Moser: Gleichgewichtsstörungen gehören leider zu den Kernsymptomen der Parkinson-Erkrankung und es kann durchaus eines der Haupttherapieziele sein, Gleichgewicht zu verbessern. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten im Rahmen der Physiotherapie, mit konventionellem Gleichgewichtstraining, aber es gibt auch sogenannte computergestützte Therapien, wo der Patient in so einer sogenannten Posturographie mittels visuellem Feedback Gleichgewicht trainieren kann.

 

Sprecher: Das funktioniert aber nur hier vor Ort?

 

Dr. Moser: Das würde nur hier vor Ort funktionieren, da ist eine apparative computergestützte Therapie. Ansonsten ist es auch wesentlich, dass die Patienten Laufband-Training bekommen, konventionelles Gleichgewichtstraining, oder Nordic Walken oder auch Gehen auf unebenem Untergrund, damit das Gleichgewichtssystem trainiert wird.

 

Sprecher: Welche Therapien, außer den bisher genannten, werden sonst noch bei Ihnen durchgeführt?

 

Dr. Moser: Zusätzliche zu den genannten Therapien kommen auch Ergotherapie zur Anwendung. Ergotherapie befasst sich besonders mit den sogenannten ADLs also mit den Aktivitäten des täglichen Lebens. Prkinson-Patienten haben oft Probleme mit der Feinmotorik. Auch das kann ein wesentliches Therapieziel sein, die Feinmotorik zu verbessern und diese ADLs zu beüben.
Es kommen Gruppentherapien zu verschiedensten Themen zur Anwendung. Das kann sein: Nordic Walking, Gleichgewichtstraining in der Gruppe, das kann sein Aquatherapie im Wasser. Das kann sein: Ausdauertraining, Krafttraining, Laufbandtraining, Klettertraining, also eine Unzahl von sozusagen Zusatztherapien, die hier individuell ausgewählt werden, damit es auch für den Patienten passt.

 

Sprecher: Können wir vielleicht noch kurz auf die Logopädie zu sprechen kommen? Hier gibt’s ja auch einen Aspekt, an den man vielleicht nicht unmittelbar denkt – nämlich das Schlucktraining.

 

Dr. Moser: In der Logopädie wird die Diagnostik des Sprechens gemacht, aber auch die Basisdiagnostik beim Schlucken. Parkinson-Patienten haben in späteren Erkrankungsstadien – oder können auch Schluckstörungen haben. Auch hier ist es Thema wieder, dass das oft nicht auffällt, weil die ganz langsam, über die Jahre entstehen und nicht ruckartig auftreten. Und zu diesem Zweck machen wir im Haus auch eine sogenannte Video-Schluck-Endoskopie-Untersuchung. Das macht eine Oberärztin von mir, eine Neurologin gemeinsam mit einer Logopädin – wo der Schluckakt mit einer Video-Endoskopie angeschaut wird und dann sozusagen diagnostiziert wird: Besteht eine Schluckstörung oder nicht, oder genügt jetzt eine Kostanpassung?

 

Sprecher: Wie könnt man sich so eine Kostanpassung vorstellen?

 

Dr. Moser: Wesentliche Kostanpassungen, wenn die Schluckstörung jetzt nicht dramatisch ist – dass man zum Beispiel Mischkonsistenzen weglässt, dass man Bröseliges weglässt und einfach versucht, sozusagen homogene Konsistenzen zu essen. Das wäre jetzt typischerweise, wäre jetzt sozusagen, eine Mischkonsistenz eine Nudelsuppe. Da würde man eher – zum Beispiel zur Cremesuppe greifen. Und das ist für den Patienten dann wesentlich leichter zu schlucken.

 

Sprecher: Warum würden Sie jedem Parkinson-Patienten einen Aufenthalt in einer spezialisierten Rehaklinik empfehlen?

 

Dr. Moser: Für Prkinson- Patienten ist es wichtig, dass sie eine multiprofessionelle Therapie, oder einen multiprofessionellen Therapieansatz erhalten. Dieser ist natürlich am einfachsten in einer Rehaklinik vorhanden. Für viele Parkinson-Patienten ist aber auch ein Reha-Aufenthalt wichtig, um aus diesem Teufelskreis der körperlichen Inaktivität herauszukommen und auch selbst zu sehen, dass Aktivitäten möglich sind, dass die Spaß machen, dass Fortschritte erzielbar sind und dass, wenn regelmäßig körperliche Aktivität stattfindet, dass auch diese Erkrankung sozusagen verzögert werden kann.

 

Sprecher: Umfasst die Therapie auch eine psychologische Begleitung?

 

Dr. Moser: Viele Parkinson-Patienten haben als nicht-motorische Symptome Depression, oder haben Motivationsstörungen, oder sie haben Probleme, sich aufzuraffen zu körperlicher Aktivität. Wenn hier Probleme bestehen, besteht auch die Möglichkeit, im Rahmen der Therapie auch psychologische Gespräche diesbezüglich zu führen. Und bei manchen Patienten kann das auch der Schlüssel zu einer positiven oder erfolgreichen Rehabilitation sein.

 

Sprecher: Wenn jetzt aufgrund unseres Gespräches ein Betroffener oder Angehöriger zu dem Schluss kommt: Ich möchte das auch. Welchen Weg muss ein Patient gehen, damit er zu Ihnen zur Reha kommt?

 

Dr. Moser: Die Patienten, die über Rehabilitation nachdenken, bzw. sich entscheiden, eine Rehabilitation machen, sollen dies mit ihrem betreuenden Neurologen/Neurologin besprechen und dieser kann dann einen Reha-Antrag stellen. Ich glaube aber, wichtig ist, dass die Zielsetzung für die Rehabilitation, dass die klar im Fokus steht und, dass die Patienten auch von der Schwere der Erkrankung her soweit  in der Lage sind, diese vorher schon erwähnten 2 bis 3 Stunden Therapie am Tag auch auszuhalten, damit das Therapieprogramm auch seine Anwendung finden kann.

 

Sprecher: Wie lange dauert normalerweise eine Rehabilitation bei Ihnen?

 

Dr. Moser: Die bewilligte Rehabilitation für Neurologie ist in Österreich 28 Tage.

 

Sprecher: Könnten Sie für unsere Zuhörer zusammenfassen, zu welchem Ergebnis eine gelungene Rehabilitation in Ihren Augen führen sollte?

 

Dr. Moser: Eine gelungene Rehabilitation ist für mich, wenn sozusagen die medikamentöse Therapie und die Aktivitäten, die wir setzen, die aktiven Therapien die hier zur Anwendung kommen, dazu führen, dass der Patient sich besser fühlt, dass er aktiver ist, dass er sich besser bewegen kann, dass er zum Teil auch weniger Schmerzen hat, dass die Sprache besser ist, dass sie lauter ist – also ich denke, das ist ein sehr vielschichtiges Unterfangen, welche sozusagen positiven Effekte dann auch bleiben.

Aus meiner Sicht ist eine positive Rehabilitation dann gelungen, wenn der Patient einerseits das Heimübungsprogramm weiterführt und aktiv bleibt, und andererseits auch die Medikation gut läuft und er mit seinem Neurologen, mit seiner Neurologin diesbezüglich auch in regelmäßigem Kontakt ist.

 

Sprecher: Wenn die Reha-Zeit vorbei ist: wie erfolgt dann der Austausch mit dem behandelnden Arzt:

 

Dr. Moser: Der Patient bekommt am Ende des Aufenthaltes einen fertigen Arztbrief mit. Also das gelingt uns zu 99,9% der Fälle. In dem Arztbrief ist einerseits der generelle Verlauf drinnen, es ist der medizinische Verlauf drinnen, aber es sind auch – ich glaube das ist wesentlich – die Therapieberichte der verschiedenen Therapiedisziplinen drinnen, d.h. der Patient kann an seine weiterbetreuende Logopädin, Physiotherapeutin oder wie immer einen fertigen Bericht mitnehmen, damit die sehen: woran haben wir gearbeitet, um hier auch nahtlos anschließen zu können.

 

Sprecher: Was würden Sie unschlüssigen Parkinson-Patienten zur Motivation mitgeben, damit Sie die Möglichkeit einer Reha wahrnehmen?

 

Dr. Moser: Ich möchte auch alle Parkinson- Patienten motivieren, über eine Rehabilitation nachzudenken. Insbesondere dann, wenn sie Probleme haben beim Gehen, Probleme beim Sprechen und Probleme beim Gleichgewicht und sich auch schwer jetzt zur körperlichen Aktivität aufraffen können. Ich denke, Sie werden hier in der Reha-Klinik viel andere Betroffene sehen, die auch mit ähnlichen Problemen kämpfen und es kann durchaus in der Gruppe ein sogenannter positiver Effekt entstehen, dass auch Patienten mitgerissen werden, sozusagen durch die gute Stimmung, die dann letztlich entstehen kann. Also besprechen Sie bitte die Möglichkeit einer neurologischen Rehabilitation mit Ihrer Neurologin, mit ihrem Neurologen und machen Sie den ersten Schritt!

 

Sprecher: Das ist ein schöner Abschluss für dieses interessante Gespräch. Sehr geehrter Herr Prof. Moser – herzlichen Dank für Ihre Zeit, für ihre verständlichen Ausführungen zur Parkinson-Therapie und für den Einblick in die Praxis in Ihrem Haus, dem Neurologischen Therapiezentrum Gmunderberg.

 

Dr. Moser: Ich bedanke mich auch herzlich für das Gespräch, insbesondere dafür, dass ich die Möglichkeiten der neurologischen Rehabilitation bei Parkinson etwas näher darstellen durfte.

 

Sie hörten ein AbbVie Audio-Update. Für weiterführende Fragen zum Thema wenden sich bitte an: www.meinparkinson.at oder [email protected]